27. September 2023
Artikel von Aikaterini Filippidou, Tilman Gocht

Wie man eine Ausstellung macht

Seit der Einrichtung der Cyber Valley-Initiative gibt es eine kontroverse Debatte über die Forschungen zu künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen in Tübingen. Ausgerechnet dieses pittoreske Städtchen am Neckar soll einer der wichtigsten europäischen KI-Forschungsstandorte sein? Für viele eine Zumutung.

Um die verschiedenen Argumente dieser Debatte zu sammeln, aufzuarbeiten und einem breiten Publikum zugänglich zu machen, haben sich 40 Studierende aus zwei verschiedenen Fachbereichen zusammengefunden: Masterstudierende der Sozialwissenschaften (Empirische Kulturwissenschaft) und der Informatik (Maschinelles Lernen). Gemeinsam mit ihren Dozent*innen (Prof. Dr. Thomas Thiemeyer, Prof. Dr. Ulrike von Luxburg, Tim Schaffarczik) und dem Team des Stadtmuseums (Guido Szymanska, Wiebke Ratzeburg) entwickelten sie über einen Zeitraum von über einem Jahr eine Ausstellung für das Stadtmuseum Tübingen: „Cyber and the City: Künstliche Intelligenz bewegt Tübingen“. Sie zeigt Hintergründe und Entwicklungen in Tübingen und vermittelt der Öffentlichkeit grundlegendes Verständnis des maschinellen Lernens und KI.

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Trailer zur Ausstellung, der von einer KI geschrieben wurde. © FLÜGELMANN

Mit drei der Studierenden haben wir über das Ausstellungsprojekt gesprochen: Mara Seyfert und Julian Petruck studieren im Master Maschinelles Lernen, Hanna Scheffold studiert Empirische Kulturwissenschaft (EKW).

Was war Eure Motivation bei dieser Ausstellung mitzumachen?

Mara: Bei mir hat das direkt Interesse geweckt, weil ich sowieso schon viel mit den Menschen in meinem Umfeld über künstliche Intelligenz spreche und einfach ein großes Interesse an dem Thema habe. Es besteht ein großer Aufklärungsbedarf, aber auch viele Sorgen. Hinzu kommt, dass alles, was ich im Studium lerne und erstelle, meistens virtuell oder in irgendwelchen Servern liegen bleibt und ich Lust hatte, das, was ich kann und das, womit wir uns im Studium beschäftigen, auch für andere Menschen erlebbar zu machen. Also mal ein Objekt daraus zu entwickeln, welches man anfassen und ausprobieren kann.

Julian: Ich habe davor immer wieder im Studium probiert, interdisziplinäre Projekte zu machen und das hat immer Spaß gemacht. Und das war immer sehr fruchtbar und deswegen habe ich auch da gedacht: ich glaube, das ist eine richtig coole Sache. Ich habe auch jetzt im Nachgang nochmal gemerkt, dass wenn man ein Thema hat, das wirklich so aktuell ist, dann kann man auch viel damit bewirken. So eine Ausstellung zu machen, damit erreicht man viele Menschen.

Hanna: Bei uns im Fach (EKW) ist dieses Studienprojekt Teil des Pflichtstudiums. Ich habe Diversität als Schwerpunkt und beim Thema KI hatte ich nur dieses medial vermittelte Bild um Zukunftssorgen im Kopf, und hatte auch keinerlei Ahnung, was das überhaupt eigentlich ist. Mich hat eher gereizt: „Wir machen eine Ausstellung“, das habe ich nie zuvor gemacht. Und auch das Kreative war wirklich der schönste Teil für mich und auch zu lernen: Okay, man muss sich auch mit Themen auseinandersetzen, die man persönlich nicht freiwillig machen würde, aber im Nachhinein merkt man dann den Mehrwert. Die Angst vor Unbekanntem ist seitdem quasi null und dieses Interdisziplinäre ist echt toll als Erfahrung.

Wie sieht so ein gemeinsamer Arbeitsprozess aus und was sind da die Herausforderungen?

Hanna: Eine Herausforderung war dieses Schwanken zwischen „Wieviel Verantwortung habe ich?“ und wieviel Mitspracherecht. Wenn man eine Idee hatte, wurde die jetzt nicht sofort in den Mülleimer geworfen, und gleichzeitig muss man auch zulassen, dass sowas dann in der Gruppe ein Eigenleben entwickelt und am Ende dann was ganz anderes rauskommt. Das war auch immer wieder schwierig. [Zu Julian] Zum Beispiel war ich in eurer Gruppe, ich habe von außen zugeschaut und dachte am Anfang: „Um Gottes willen, ich verstehe es nicht mal.“ Und dann darauf zu vertrauen, dass ihr genau wisst, was ihr macht, auch mithilfe unseres Feedbacks.

Julian: Wir haben am Anfang sehr viel darüber geredet und unsere Ideen eingebracht, wie die Ausstellung aussehen könnte. Aber auch wenn man noch so detailreich an den eigenen Objekten gearbeitet hat, desto mehr musste man einsehen, dass man keinen Einfluss auf die ganze Ausstellung hat. Dann hat man manchmal gedacht: „Warum wird das jetzt so gemacht? Das kann ich gar nicht nachvollziehen.“ Und da dann zu vertrauen, dass das am Ende cool wird. Das war manchmal nicht ganz so einfach, aber es hat am Ende gut funktioniert.

Mara: Zum Teil wurden auch Skills von uns erfordert, die haben jetzt nicht unbedingt so viel mit Machine Learning zu tun: Die Oberfläche einer App programmieren, das deckt mein Studium nicht ab. Aber dann hatten wir einen in unserer Gruppe, der hatte damit schon Erfahrung und konnte den anderen helfen. Es ging viel darum: Wer hat welche Kompetenzen und wie können wir die alle zusammen schmeißen, um am Ende was raus zu bekommen, das funktioniert?

Die drei Studierenden Mara Seyfert, Julian Petruck und Hanna Scheffold. © FRANZISKA-SOPHIE WALTER

Normalerweise schreibt man beim Seminar hinterher eine Seminararbeit oder eine Klausur und die landet dann in den Unterlagen oder der Seminarleitung. Jetzt steht als Ergebnis eine Ausstellung im öffentlichen Raum. Worauf musstet ihr besonders achten und wie geht es euch damit?

Julian: Für uns in der Gruppe war die größte Herausforderung die Message, die wir transportieren wollen. In einem Objekt alles rüberzubringen, das aber trotz allem irgendwie so kurz und prägnant ist und gleichzeitig irgendwie auch Aufmerksamkeit bekommt. Es wurde uns immer gesagt: Niemand schaut länger als drei Minuten dieses Objekt an. In diesen drei Minuten muss die Message rüberkommen. Am Anfang wollten wir ganz viele Informationen reinhauen, weil wir dachten, es ist megawichtig, dass man alle Seiten reflektiert. Das ist auch wichtig, und das haben wir auch immer irgendwie drin, aber dass man das schafft und trotzdem so was Kurzes und Prägnantes hat, das war eine Riesenherausforderung.

Mara: Ja, für mich war ein großer Unterschied, dass das Objekt für Leute verständlich sein muss, die damit sonst nicht so viel zu tun haben. Also, wir haben uns wahnsinnig viele Gedanken über Verständlichkeit gemacht. Aber auch, dass das Ding am Ende voll geprüft ist: Es darf nicht abstürzen; wenn man einen falschen Knopf drückt, darf keine Überraschung passieren. Darüber waren am Ende eigentlich alle überrascht, wieviel Zeit in dieses wirklich fit machen für die Ausstellung fließt.

Julian: Und in Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem Museum war es manchmal schwierig zusammenzukommen, weil man unterschiedliche Ansprüche hatte: Für das Exponat in meiner Gruppe haben wir z.B. nicht viel gecodet, es ist kein Machine-Learning-System dahinter. Die Schwierigkeit lag darin, eine Story für unser Objekt zu entwickeln. Und dann gab es diesen Moment, wo das Museum das Gefühl hatte, dass unsere Message nicht rüberkommt. Wir waren aber so überzeugt von unserer Idee und unserem Ansatz, weil uns eben dieses Inhaltliche wichtig war, und das wollten wir rüberbringen. Da war es richtig schwer zueinander zu finden. Aber interessanterweise glaube ich, gerade weil das so ein schwieriger und langwieriger Prozess war, hat das unser Objekt auch wirklich deutlich besser gemacht. Ich glaube ohne diesen Prozess und ohne dieses Reiben, auch wenn es anstrengend war, wäre das Objekt nicht so gut geworden, wie es jetzt am Ende ist.

Kannst Du näher auf dieses Exponat eingehen und die Schwierigkeit beleuchten?

Julian: Wir haben ein dystopisches Szenario gewählt: Per Gesichtserkennung soll an der Tür des studentischen Clubhauses in Tübingen erkannt werden, wer Studierende*r ist. Das System funktioniert aber noch nicht und die Besucher*innen sollen helfen, es zu trainieren, sodass es Studierende erkennt. Und dafür sollen sie selbstständig Datensätze auswählen, die diese Gruppe am besten repräsentieren Dabei wird darauf aufmerksam gemacht, dass man einen möglichst ausgewogenen Datensatz auswählen soll, weil Studierende eine sehr diverse Gruppe sind. Alle möglichen Demographien müssen da vorkommen. Und da macht man die Erfahrung, dass es an manchen Stellen gar nicht so einfach ist, weil es auch Sachen gibt, die weniger klassisch diskriminierender Natur sind. Zum Beispiel, wenn Brillenträger*innen nicht in dem Datensatz vorkommen, und somit der Algorithmus nachher ein Problem hat, Personen mit einer Brille zu erkennen. Das ist etwas, woran man vielleicht nicht unbedingt denkt, aber woran wir, wenn wir Daten sammeln und so einen Datensatz erstellen, auch achten müssen. Das ist das, was wir zeigen wollten, aber auch, dass es für so einen Zweck nicht gut geeignet ist und daher auch nicht eingesetzt werden sollte.

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Am Clubhouse-Exponat können Besucher*innen einen Algorithmus trainieren, per Gesichtserkennung Studierende zu erkennen und einzulassen. Dabei wird deutlich, dass sich sogenannter „bias“ schnell einschleichen kann. ©  JAN DIHLMANN

Hanna, wie ist es Dir mit diesem Exponat und Deinem Diversitätsfokus ergangen? Hast du das Gefühl, dass eigentlich das, was du dir unter Diversität vorstellst, dort gut abgebildet wird?

Hanna: Am Anfang hatte ich total die Sorge, weil wir zum Beispiel gar keine schwarzen Studierenden in unserem Foto-Datensatz hatten und dann stellt sich die Frage, wie können wir dann ein Exponat machen, dass Diversität als schützenswert darstellt? Und was ist, wenn unser Exponat am Ende diskriminiert? Das wollen wir gar nicht. Wir wollen zeigen: KI diskriminiert leider und das ist gar nicht so einfach, die richtig zu trainieren, denn es gibt auch Bias, den man gar nicht sieht. [Zu Julian] Als ich dann am Ende verstanden hab, dass Ihr das voll auf dem Schirm habt, war ich so begeistert von dem Exponat. Und im Nachhinein merke ich, wie gut dadurch die Message funktioniert: Weil sich die Gefahr am Menschen besser darstellen lässt, als wenn ich eine Fichte von einer Tanne unterscheiden soll. Da waren zu Beginn zwar viele Sorgen, aber im Prozess dieses Verstehens: Was ist Bias und wie wenig schuld sind eigentlich die Programmierenden, wenn sie alles Mögliche bedenken, und der trotzdem reinschlüpft. Da habe ich dann auch so langsam die gesellschaftliche Debatte verstanden, und auch die Angst verloren vor der Maschine, die uns alle zugrunde richten wird.

Was glaubt Ihr, was der Beitrag dieser Ausstellung ist?

Hanna: Ich glaube, die Leute haben ein großes Bedürfnis zu sprechen und auch gefragt zu werden und auch Antworten zu kriegen auf Fragen, die man sich nicht traut zu stellen. Dafür ist zum Beispiel unsere Feedbacktafel am Ende der Ausstellung gut. Und generell mehr erfahren über dieses „Wer? Wie? Was? Wo? Wann?“ Gerade das „Wer“ finde ich sehr spannend, dass man Gesichter hat. In jedem Raum gibt es ein Video, wo jemand spricht, wie er oder sie das wahrgenommen hat. Das finde ich ganz gut, dass auch Wissenschaftlerinnen wie Ulrike Luxburg da die Chance haben, nochmals zu sagen, was eigentlich die Intention war und zu sehen, wie empört auf einmal die Masse dagegengehalten hat. Wie schwierig es dann auch ist, wirklich in Dialog zu treten, wenn die Fronten sich so verhärtet haben.

Mara: Bei den Führungen, die ich gegeben habe, habe ich einen Unterschied im Alter gemerkt: Die Jüngeren sind technikinteressiert und probieren viel aus, die Erwachsenen bringen mehr Skepsis in Bezug auf KI an sich mit. Sie haben schon über KI gelesen, stellen sich Fragen wie: Was macht KI mit meinem Job? Wer beruft eigentlich diesen Ethik-Beirat und kontrolliert den? Viele Rückfragen kommen, und es wird positiv bemerkt, dass die Kritik an dem Thema so viel Raum findet. Und auch die Jüngeren sagen: „Ja, krass, aber es hat uns jetzt auch schon viel gebracht, weil einfach auch so KI nicht nur positiv, sondern auch kritisch beleuchtet wird und manche Sachen waren uns einfach nicht so klar und die haben wir jetzt gelernt.“

Auch kritische Stimmen und Protestaktionen zu KI in Tübingen fanden Platz in der Ausstellung. © ANNE FADEN / STADTMUSEUM TÜBINGEN

Und würdet Ihr wieder bei einem Ausstellungsprojekt mitmachen?

Mara: Ja, weil es mich einerseits reizt, interdisziplinär zu arbeiten, weil es mich aber auch reizt, so viel Freiheit zu haben, eine eigene Idee umzusetzen. Aber ich würde mehr Zeit einplanen, weil zum Ende hin, war es wirklich viel Arbeit.

Hanna: Ich würde auch wieder mitmachen. Weil es so wichtig ist, interdisziplinär zu arbeiten. Gerade an der Uni. Ich finde, das passiert viel zu wenig. Und die Möglichkeiten, die man hat: Ich konnte in die Büros gucken, was ich sonst nie hätte dürfen und ins MPI reinspazieren und dann diesen Austausch mit den ML Studis. Ich habe mir ML Studis davor ganz anders vorgestellt.

Julian: Die Resonanz hat mir gezeigt, dass es wirklich wichtig ist, solche Ausstellungen zu machen. Es hat voll viel Spaß gemacht. Und egal was man macht, man hat immer irgendwo eine Phase, die anstrengend ist. Man wurde aber jetzt auch wirklich dafür belohnt. Und man konnte seiner Kreativität ein bisschen freien Lauf lassen, was im Studium sonst halt schon häufig zu kurz kommt für meinen Geschmack. Und deswegen, also ich wäre sofort wieder am Start.

 

Interview: Tilman Gocht, Aikaterini Filippidou
Titelbild:  © Anne Faden / Stadtmuseum Tübingen

 

NEWS
Wegen des großen Interesses an der Ausstellung wird diese bis zum 21. Januar 2023 verlängert. Und ab dem 16.11.2023 könnt Ihr im Rahmen der Ausstellung das interaktive Kunstexponat IN-ML-OUT besichtigen und ausprobieren, das sich mit Windenergie und Maschinellem Lernen beschäftigt.

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