14. August 2023
Artikel von Tilman Gocht, Martin Krohs

Neue Wege in der Wissenschaftskommunikation: Der Themenkanal „KI und Nachhaltigkeit“

„KI und Nachhaltigkeit“ – ob zum Mitdiskutieren, Fragen stellen oder einfach sich informieren: Das alles gibt es seit dem 4. April 2023 auf der Wissenschafts- und Debattenplattform te.ma. Mit diesem neuen Ansatz wollen der Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen“ und te.ma im komplizierten Dickicht der Wissenschaftskommunikation neue Impulse für den Dialog mit der Öffentlichkeit setzen.

Die Zeichen der Zeit stehen auf Dialog: Im Oktober 2021 hat der Wissenschaftsrat ein Positionspapier zum Thema „Wissenschaftskommunikation“ veröffentlicht. Insgesamt 37-Mal taucht in diesem Dokument der Begriff „Dialog“ auf. „Dialogorientierung“ wird als wichtiges Kriterium gelingender Wissenschaftskommunikation dargestellt. Formate, die nicht auf reine Vermittlung, sondern auf Austausch angelegt sind, gelten als besonders werthaltig. Doch wie tritt man in einen Dialog? Wie gelingt es, in einen Austausch zu finden, wenn ein Wissensgefälle zwischen den Expert*innen (= Wissenschaftler*innen) und „der Welt da draußen“ besteht? Denn Dialog setzt Augenhöhe voraus, sonst kann er nicht geführt werden. 

Wir gehen davon aus, dass sich diese Kluft überwinden lässt, und wollen gute Bedingungen für den Dialog schaffen. Deshalb arbeiten wir zusammen: Wir bringen fundiertes Fachwissen über Maschinelles Lernen mit der Expertise und dem Erfindungsgeist erfahrener online-Medienmacher*innen zusammen. Wir möchten einen informierten Diskurs über Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz anregen und gehen dabei davon aus, dass Wissenschaftler*innen allein dieser Aufgabe nicht gewachsen sind. Denn der öffentliche, politische Diskurs funktioniert anders als der Diskurs innerhalb der Wissenschaften selbst. Er ist im wahrsten Sinne ein medialer, einer, der „dazwischen“ liegt: zwischen den fachlichen Details, mit denen sich die Forschung auseinandersetzt, und den gesellschaftlichen Belangen und Problematiken, die es zu durchdringen und zu bewältigen gilt. 

Wie kann dieses „Dazwischen“ zu einem lebendigen und kompetenten Forum werden? Wie lässt sich erreichen, dass die Menschen, die unsere Demokratie tragen, in den relevanten wissenschaftlichen Fragen so versiert werden, dass sie sich eigene fundierte Urteile bilden können? Wie kann das alles in einer Atmosphäre der gegenseitigen Achtung und Wertschätzung geschehen, gerade dann, wenn es kontrovers wird und die Auffassungen auseinandergehen?  

JourFixe per Zoom: Adelina Olbrich, Katerina Filippidou, Eva Grafenstein, Tilman Gocht, Martin Krohs (v. li. n. re.)

Kooperation im Textlabor

Diese Fragen treiben derzeit alle um, die sich mit dem Zusammenspiel von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik befassen. Unser Themenkanal „KI und Nachhaltigkeit“ setzt dabei von Anfang an auf Kooperation: Beide Partner investieren, indem sie Kontrolle abgeben und an den Inhalten gemeinsam arbeiten.  

Das Kurationsteam des Kanals besteht aus drei Nachwuchswissenschaftler*innen des Exzellenzclusters „Maschinelles Lernen“: Matthias Karlbauer, Solveig Klepper und Jan Lause. Sie gestalten das Kanalprogramm und bilden gemeinsam mit einer Fachredakteurin von te.ma, Eva Grafenstein, ein Textlabor. In diesem Labor werden Texte verschiedener Gattungen produziert:  Wir stellen nicht nur klassische Forschungsliteratur vor, wie Paper und Bücher, sondern gestalten auch Webformate wie Blogartikel, Online-Talks oder auch Interviews. Diese Inhalte werden für die Öffentlichkeit kompakt und leicht zugänglich aufbereitet. In regelmäßigen Abständen kommen auch weitere KI-Forschende zu Wort, die in Gastbeiträgen die Schwerpunkte ihrer Arbeit vorstellen.  

Nach und nach entsteht so ein Pool von zuverlässigen fachlichen Ressourcen, der allen zur Recherche und zur eigenen Beteiligung an der Debatte offensteht: interessierten Netzbürger*innen, Journalist*innen und Content Creators, Entscheidungsträger*innen und Meinungsmacher*innen und natürlich den Wissenschaftler*innen selbst – auch denen aus anderen Disziplinen. 

Auf te.ma gibt es wissenschaftliche Medien unterschiedlichster Art: Ob klassische Forschungsliteratur wie Monographien und Paper oder Webformate wie Blogartikel oder Zeitungsinterviews.

Das te.ma-Thema „KI und Nachhaltigkeit“

Der Themenkanal „KI und Nachhaltigkeit“ ist einer von aktuell vier Kanälen bei te.ma, in denen in Kurzfassungen die wichtigsten Beiträge der jeweiligen Fachdiskurse präsentiert und gesellschaftlich wichtige Fragen in Foren diskutiert werden. Weitere Kanäle behandeln die Problematiken Mehrsprachigkeit, den Krieg in der Ukraine mit seinen Auswirkungen auf Europa und die globale Ordnung sowie die Fragen der digitalen Medialität selbst.  

Der inhaltliche Ansatzpunkt liegt darin, das Fachwissen aus dem Exzellenzcluster in einen gesellschaftlichen Kontext zu setzen, in dem es Wirkung entfalten kann. Daher orientieren wir das Thema Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (ML/KI) von vornherein an einer konkreten Fragestellung – vielleicht der folgenreichsten unserer Zeit: Nachhaltigkeit. Denn es ist offensichtlich, dass wir uns in einer Nachhaltigkeitskrise befinden, welche die Entwicklungschancen zukünftiger Generationen in Frage stellt. Daher fragen wir: Wie kann es uns gelingen, das gesellschaftliche Zusammenleben mithilfe von Wissenschaft nachhaltiger zu gestalten? Welche Rolle spielen dabei Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz und welches Risiko strahlt von ihnen aus? Welche Werkzeuge kann KI zur Verfügung stellen, um Nachhaltigkeit in Bereichen wie Energie und Ökologie, aber auch in sozialer Hinsicht zu gewährleisten?  

Dies sind die Fragen, entlang derer das Programm des Themenkanals entsteht. Dabei möchten wir keiner naiven Technikgläubigkeit das Wort reden, sondern auch die Kehrseiten technologischer Anwendungen beleuchten (z.B. diskriminierende Algorithmen oder ML/KI als Überwachungstechnologie). Und wir wollen über diese Themen einen Dialog möglich machen. 

Mit welchen Inhalten beschäftigt sich der Kanal „KI und Nachhaltigkeit“? Die drei Kurator*innen Jan Lause, Matthias Karlbauer und Solveig Klepper stellen diese im Video vor. © EXZELLENZCLUSTER „MACHINELLES LERNEN“ / UNIVERSITÄT TÜBINGEN

Win-Win-Win – und Win?

Der Themenkanal „KI und Nachhaltigkeit“ wird noch bis Oktober 2023 mit neuen Inhalten gefüllt. Vorteile aus dieser Kooperation ergeben sich für 

• die Öffentlichkeit, die unmittelbaren Zugriff auf ausgewähltes Fachwissen erhält;
• den Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen“, der seine Reichweite in die Zielgruppe der interessierten Öffentlichkeit ausbauen kann;
• die – gemeinnützige – Plattform te.ma, die ihr Programm um eine hochrelevante Thematik bereichern kann
• die Nachwuchswissenschaftler*innen, die sich in der Wissenschaftskommunikation weiterbilden. 

Alle Texte bieten Ansatzpunkte für den Austausch mit der interessierten Öffentlichkeit, der dann ebenfalls von den drei Nachwuchswissenschaftler*innen begleitet wird. Dabei geht es nicht nur um die Forschungsinhalte, sondern vor alle auch darum, welche Konsequenzen sich für die Gesellschaft aus den Forschungsarbeiten ergeben. Und das kann durchaus kontrovers diskutiert werden. Auch dafür bietet te.ma als Plattform eine Infrastruktur und fungiert dadurch zugleich als soziales Netzwerk – ohne die üblichen Grabenkämpfe und das Hauen und Stechen um die Diskurshoheit.  

Die Wissenschaftler*innen des Exzellenzclusters erhalten bei te.ma ein professionelles Mediencoaching, wenn man so will: eine Praxisausbildung in Wissenschaftskommunikation. Und schaffen zugleich für die Kanal-User*innen eine Möglichkeit, unmittelbar in die Forschung einzutauchen. Denn wer dem Themenkanal „KI und Nachhaltigkeit“ folgt, kann im Laufe der Zeit zum regelrechten citizen scholar werden. Und kann dann fundiert mitreden und verantwortungsvoll mitentscheiden. Das jedenfalls ist das Ideal, dem wir mit unserer Zusammenarbeit ein Stück näherkommen wollen und das sicherlich das größte und schwierigste „win“ wäre, das wir erzielen können.  

Dahin zu gelangen, ist ein weiter Weg und das beweist auch ein Blick auf die Nutzung unserer Kommentar-Funktion. Derzeit findet die Auseinandersetzung mit Wissenschaftsthemen noch vor allem in Kommentarspalten zu journalistischen Artikeln oder Youtube-Videos statt, außerdem auf Social Media-Plattformen wie X (ehemals Twitter) oder Facebook. Sie unmittelbar in ein von der Wissenschaft aktiv gestaltetes Portal hineinzuholen, ist die große Herausforderung, der sich jede dialogische Wissenschaftskommunikation gegenübersieht. Das Patentrezept hat noch niemand gefunden. Mit unserem Projekt gehen wir damit auch eine Wette ein: Wir bieten Content von hoher Qualität und ein einladendes Raumklima – und wir setzen auf die Neugier und Experimentierfreude unserer User*innen. Wer sich für Wissenschaft interessiert, sollte, denken wir, mit beidem bestens ausgestattet sein! 

Kommentare

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