In der Monsunzeit wird aus dem Fluss Brahmaputra in Indien ein Meer. Regen prasselt oft tagelang nieder, so als hätte jemand eine Dusche aufgedreht. Einzelne Tropfen verbinden sich zu Strahlen. Oft gibt es Überschwemmungen. Bedartha Goswami wuchs nur wenige hundert Meter entfernt von dem Fluss in der Stadt Guwahati im Osten Indiens auf. Er kann sich noch gut an die Regenströme erinnern. Jedes Jahr immer im April ergossen sie sich. Teilweise waren sie so stark, dass die Schule ausfiel. Dann saßen sie zuhause und schauten zu, wie das Wasser auf die Blätter der Bäume klatschte. Doch das ist lange her. Inzwischen ist Goswami 37 Jahre alt, trägt Bart und einen Doktortitel. Aber auch der Monsun hat sich verändert. Er ist unberechenbarer geworden. Manchmal kommt er früher, manchmal später. Manchmal fallen die Regenfälle heftiger aus und zerstören Ernten, manchmal gibt es nicht genügend Wasser. Es sind die Auswirkungen des Klimawandels. Für viele Menschen in Indien sind diese Auswirkungen ein großes Problem, denn sie leben von der Landwirtschaft. Goswami und sein Forschungsteam wollen deshalb am Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen“ in Tübingen unter anderem den Monsun wieder berechenbarer machen – mithilfe von Maschinellem Lernen (ML).
Die Wissensbasis über den Klimawandel erweitern
Inzwischen ist der Klimawandel auch in Deutschland spürbar, die Sommer sind heiß und trocken, Extremwetterereignisse nehmen zu. Es wird klar: Wir müssen handeln. Goswami entschied sich für die Stelle am Exzellenzcluster, weil auch er einen Beitrag leisten will, die Wissensbasis über den Klimawandel zu erweitern. Er will Muster in Daten aufspüren und Modelle optimieren, um so bessere Vorhersagen über das Wetter und das Klima treffen zu können. Deshalb sucht er in riesigen Klimadatensätzen nach Zusammenhängen von Regen, Strömungen und Winden. An der Wand in seinem Büro hängt ein Whiteboard mit mathematischen Formeln, in einem Schrank stapeln sich Bücher: „Climate System Modeling“, „Machine Learning“, „Dynamics of the Tropical Atmosphere and Oceans“.
Dabei hat Goswami keinen klassischen Informatikhintergrund. In Indien studierte er am Indian Institute of Science Education and Research, Pune, seine Doktorarbeit machte er am Potsdam-Institut für Klimaforschung. Dort lernte er zwar, wie man Klimadaten analysiert, arbeitete viel mit Statistik und tauchte in die Chaostheorie ein, beschäftigte sich mit komplexen Systemen, doch viele Modelle und Methoden der ML-Forschung, besonders im Bereich Deep Learning, waren für ihn anfangs neu. Zudem entwickelt sich dieser Forschungszweig rasant. Da mitzuhalten, ist nicht einfach, in seinem Büro sagt Goswami: „Wir müssen viel lernen, um auf der Höhe der Zeit zu sein“. Oft sieht er in anderen Arbeiten, die eine Brücke zwischen dem Maschinellen Lernen und den Klimawissenschaften bauen wollten, dass entweder die ML-Methoden oder das Klimawissen sehr vereinfacht wurde. Sie nutzen veraltete Modelle oder haben den Nutzen für die Klimawissenschaft nicht gut genug durchdacht. Doch wird es ihm und seinem Team aus vier PhD-Studenten gelingen, beiden Seiten gerecht zu werden?
Kenntnisse in Maschinellem Lernen allein reichen nicht aus
In seinem Büro lehnt Goswami sich zurück und sagt: „Ich versuche immer meine Studierenden zu ermutigen, sich auch in der Tiefe mit den Klimawissenschaften zu beschäftigen.“ Sein Credo: „Qualität vor Quantität.“ Fragt man die PhD-Studenten, was sie über Goswami denken, taucht immer wieder dessen Liebe zum Detail auf. Er setze sich detailliert mit Problemen auseinander. Für ihn zähle der Erkenntnisgewinn. Er wolle Prozesse im Detail verstehen. Das will Goswami auch seinen Studierenden vermitteln. Er will, dass sie zu Experten bestimmter Klimaaspekte werden. Deshalb schickt er sie zu Workshops, Konferenzen, Sommerschulen. Und er will, dass sie auf die Relevanz der Publikationen setzen, statt darauf die Ersten zu sein. Er will in Fachzeitschriften veröffentlichen, die auch für Meteorologen und Klimawissenschaftler von Bedeutung sind, nicht nur für Experten des Maschinellen Lernens. Doch dafür müssen er und sein Team sich auch viel Wissen anlesen, damit sie die Brücke zwischen Maschinellem Lernen und den Klimawissenschaften stabil genug bauen. Manchmal dauert es dann, bis sie publizieren können. Jetzt aber sind die ersten einschlägigen Veröffentlichungen erschienen.
Da ist zum Beispiel Jannik Thümmel, der Vorhersagemodelle mithilfe von Maschinellem Lernen entwickelt. Das funktioniert so, dass ein Modell aus alten Wetterdaten lernt, wie Winde, Regen oder Stürme zusammenhängen und auf Basis dessen über das zukünftige Wetter Vorhersagen trifft. In den vergangenen Jahren hat sich dieser Ansatz als sehr erfolgreich erwiesen. Schon bevor Thümmel die Stelle am Exzellenzcluster annahm, hatte er sich viel mit Deep Learning beschäftigt. Er studierte Kognitionswissenschaften und Computational Neuroscience und ist der interne Experte der Gruppe. Goswami sagt: „Wenn irgendjemand in unserer Gruppe ein Problem mit Deep Learning hat, dann fragt er Jannik. Er kennt alle Tipps und Tricks.“ Doch um relevante Forschung zu betreiben, reicht das nicht. Thümmel muss auch zum Experten in bestimmten Bereichen der Klimawissenschaften werden. Deshalb hat er sich im ersten Jahr am Exzellenzcluster viel mit den komplexen Systemen des Klimas beschäftigt. Das Modell, das Thümmel nun entwickelt, soll in Zukunft dabei helfen, präziser Dürreperioden oder Überschwemmungen vorherzusagen. So könnten Regierungen in den betroffenen Gebieten rechtzeitig vorsorgende Maßnahmen ergreifen.
Jedes Gruppenmitglied bringt eine besondere Perspektive ein
Neben Thümmel beschäftigt sich auch Moritz Haas stark mit Deep Learning. Er hat Mathematik studiert, jetzt steigt er vor allem in die Theorie des Maschinellen Lernens ein. Denn anders als Thümmel gehört er zu der Forschungsgruppe „Theorie des Maschinellen Lernens“, die Ulrike von Luxburg leitet, Goswami ist sein zweiter Betreuer. In seiner Doktorarbeit sucht Haas nach Schwächen in Methoden des Maschinellen Lernens, um sie zu verbessern, z.B. durch Bias-Korrekturen und die Vermeidung des Lernens fehlerhafter Strukturen durch ML-Modelle. Die korrigierten Methoden erlauben dann, statistisch verlässlichere Schlussfolgerungen über komplexe Strukturen in Klimasystemen zu ziehen. Dadurch, dass Haas sich viel in anderen Forschungskreisen bewegt, fällt ihm immer wieder mal ein Aspekt auf oder ein Forschungsbericht ein, der neu für einen Teil der Gruppe ist und der deren Arbeit entscheidend weiterbringt. Goswami sagt: „Moritz ist unentbehrlich für das Team“.
Da ist aber auch Jakob Schlör, der in seiner Doktorarbeit den El Niño – das Auftreten ungewöhnlicher Meeresströmungen im Pazifik – besser verstehen will. Dabei erwärmt sich die obere Wasserschicht des tropischen Pazifiks so sehr, dass sie das Klima beeinflusst. Die Folgen: Dürren in Australien, ein schwächerer Monsun in Indien und das Zusammenbrechen ganzer Nahrungsketten im Ozean. Durchschnittlich alle zwei bis sieben Jahre tritt das Phänomen auf. Doch welche Faktoren gehen einem El Niño-Jahr voraus? Und wie haben sich diese durch den Klimawandel verändert? Schon in seinem Physikstudium hatte Schlör ein Faible dafür, mathematische Probleme zu lösen. Diese Leidenschaft wollte er mit einer für ihn sinnvollen Arbeit verbinden. Und eigentlich lässt sich auch der El Niño als Teil eines mathematischen Problems sehen. Auf der einen Seite der Gleichung stehen die unbekannten Variablen, auf der anderen das Auftreten des El Niños. Um die Gleichung lösen zu können, taucht Schlör in für ihn neue Forschungsgebiete ein und wurde während seines Forschungsaufenthalts beim amerikanischen Wetterdienst NOAA zum Experten für die stochastische Modellierung von Klimasystemen. Dieses Wissen hilft ihm nun, Vorhersagemodelle für die El Niño-Phänomene zu verbessern.
Neue Methode für „Early-Warning“-Vorhersagen
Und zu guter Letzt ist da noch Felix Strnad. Er will eine Methode entwickeln, mit der man sogenannte „Early-Warning“-Vorhersagen darüber treffen kann, wann Extremniederschlagsereignisse in Asien auftreten. Deshalb führt er eine Datenanalyse im Bereich des Indo-Pazifischen Monsuns durch. In seinem Studium hatte er bereits zur Verbindung von komplexen Systemen und Klima geforscht. In Göttingen studierte er Physik, seine Masterarbeit machte er am Potsdam-Institut für Klimaforschung. Nun dringt er am Exzellenzcluster immer weiter in beide Welten vor. Er liest Blogbeiträge, schaut Tutorials oder sucht in Online-Nachschlagewerken nach Antworten. Er sieht sich als Vermittler zwischen beiden Welten, als Übersetzer zwischen Maschinellem Lernen und den Klimawissenschaften. Mithilfe von ML-Methoden hat er ein neues Muster bei den Starkregenfällen im Indo-Pazifik-Gebiet entdeckt. Sein Ergebnis: Es gibt drei Kategorien, die verschiedene Ausbreitungswege der Regenfälle beschreiben. Einer, der sich hauptsächlich nordöstlich bewegt (in normalen Jahren). Einer, der nur nach Norden wandert (La-Nina). Und ein dritter, der still steht (El-Nino). Goswami ist überzeugt: Die Entdeckung könnte ein Durchbruch werden.
Aufbauend auf dieser, aber auch auf Schlörs und Thümmels Arbeit, könnten Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler den indischen Monsun wieder ein Stück weit berechenbarer machen. In seinem Büro sagt Goswami: „Mit unserer Arbeit leisten wir einen winzig kleinen Beitrag, um das Wissen über den Klimawandel zu erweitern.“
Mehr Informationen über die Forschung der Gruppe „Maschinelles Lernen in den Klimawissenschaften“ finden Sie auf ihrer Webseite.
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